Startseite > Publikationen > Tink-Theater: Ein Stück vom Erwachsenwerden
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Am 28. Juni feiert das Stück „Ein ganz normales Leben“ Premiere im Bolheimer Stadel des „Tink“-Theaters. Es geht ums Erwachsenwerden, um Rollen, Erwartungen und Emotionen. Mit zehn Jahren spielt sich das Leben im Hier und Jetzt ab. Der wichtigste Gedanke ist der an das Fußballspiel am Nachmittag, und was übermorgen ist, interessiert nicht. Im nächsten Moment, er scheint nur einen Wimpernschlag gedauert zu haben, sind die Jahre vergangen und ein altes Ehepaar sitzt still in seinem Wohnzimmer. Die Tochter ruft an – „nein, natürlich ist es nicht schlimm, wenn du nicht vorbeikommst. Du hast ja selbst so viel zu tun.“ Die alte Frau legt auf. Stille. Dann wird geklatscht, und Anita Fetzer, die Vorsitzende des Vereins für therapeutisches Reiten Bolheim, wischt sich schnell eine Träne von der Wange. Sie hat bei der Probe des inklusiven „Tink“-Theaters zugeschaut, das am Freitag, 28. Juni, um 20 Uhr Premiere mit dem diesjährigen Stück „Ein ganz normales Leben“ feiert – und genau darum geht es im Bolheimer Theaterstadel: um das ganz normale Leben. Um all die Momente, die zwischen dem zehnjährigen Kind und der alten Frau im Wohnzimmer liegen. Bis Mitte 20 sind es Gedanken an Schule, Ausbildung, Freunde, Studium und Beruf, mit 30 Jahren drängen sich Kinder, Familie, das eigene Haus dazwischen. Es sind Gedanken darüber, was es heißt, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, Rollen und Erwartungen gerecht zu werden – „Gedanken, wie sie im Prinzip jeder hat“, sagt Dorothea Strauss, die für Inszenierung und Regie verantwortlich ist.

Kein Fingerzeig oder Apell

Sie hat das Stück selbst geschrieben, und währenddessen schon gemerkt: Es packt einen. „Ich musste selbst ein paarmal weinen. Aber nicht, weil es zu traurig oder zu ernst geraten ist, sondern einfach deshalb, weil ich mich in den dargestellten Situationen selbst wiederfinden kann. Und ich denke, das wird vielen Zuschauern so gehen.“ Lebe dein Leben, genieße den Augenblick – solche Ratgeber-Weisheiten wollte Strauss dabei unbedingt vermeiden. „Es sollte kein Fingerzeig und kein Appell werden“, sagt sie. Und tatsächlich plätschern in dem Theaterstück die Jahre und Jahrzehnte einfach so vor sich hin, ohne groß aufzufallen, ohne merklichen Übergang; aber auch, ohne auch nur eine Minute langweilig zu werden. Auf die Idee für diese Geschichte kam sie zum Teil durch ihren Vater, der vor knapp einem Jahr gestorben ist und um den sie sich zuvor jahrelang als Pflegefall gekümmert hat. „Eigentlich wollte ich darüber ein Stück schreiben, aber das war alles zu frisch. Und dann gingen die Gedanken eben weiter und wurden zu einer Reise durch ein ganz normales Leben.“

Seit fünf Jahren eine feste Truppe

16 Darsteller sind mit auf der Bühne: sowohl Mitglieder des Vereins für therapeutisches Reiten als auch andere Interessierte. „Die meisten haben von Anfang an mitgemacht. Wir sind also schon seit fünf Jahren eine feste Truppe, aber offen für neue Mitspieler“, erklärt Elisa Knödler, die vom Verein angestellt ist und sich organisatorisch vor allem um verschiedene Förderungen kümmert (siehe Infokasten). Requisiten gibt es dieses Jahr so gut wie gar nicht, lediglich eine rote Jacke, einen Rock, einen Schal und eine Krawatte; dadurch sind die vier Hauptpersonen in ihren unterschiedlichen Lebensphasen immer wieder erkennbar. Einen besonderen Platz hat Lena Sofia Jahn inne, auch wenn dieser eher neben als auf der Bühne ist. Sie begleitet das Stück musikalisch am Klavier, führt die Charaktere zu Beginn ein, interagiert hier und da mit ihnen und ergänzt die Vorführung mit Gesang. Überhaupt geht es recht musikalisch zu, selbst Rap-Songs und andere Lieder wurden selbst erdacht und einstudiert. Das Bühnenbild scheint auf den ersten Blick zwar ungewöhnlich, auf den zweiten aber ungewöhnlich passend: Die Bühne wurde in zwei Hälften geteilt, und während die Darsteller auf der einen Seite den direkten Blicken des Publikums ausgesetzt sind, besteht die andere Seite aus einer Art Schattenwand – die entsprechende Performance sorgt hier für ein ganz eigenes Theatererlebnis.

In neuen Lebenssituationen zurechtfinden

Geprobt wird bereits seit Oktober vorigen Jahres, und die Darsteller sind noch immer voller Eifer dabei. „Das liegt am Thema. Drei unserer Mitspieler haben in den letzten Jahren ihre beiden Elternteile verloren, viele andere mussten sich ebenfalls in neuen Lebenssituationen zurechtfinden“, so Strauss. Die 47-Jährige wundert sich nicht, dass sich die „Tink“-Gruppe emotional mit dem Stück verbunden fühlt – „wir haben ihnen in keiner Minute etwas vorgesetzt, sondern alles gemeinsam gestaltet“.

„Tink“-Theater und Förderungen

Das inklusive „Tink“-Theater wurde zunächst von der „Aktion Mensch“ über drei Jahre hinweg gefördert und erhält nun Unterstützung vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft – insgesamt rund 56 000 Euro über drei Jahre. Außerdem wird es durch die Teilnehmerbeiträge der Schauspieler und durch Spenden bei den Aufführungen finanziert. Mit der neuen Förderung sollen auch neue Ideen umgesetzt werden. Man könne den Stadel weiterentwickeln, so Elisa Knödler, beispielsweise Künstler dort ausstellen lassen oder Theaterworkshops anbieten. Die Premiere von „Ein ganz normales Leben“ ist am Freitag, 28. Juni, um 20 Uhr. Weitere Aufführungen sind am Samstag, 29. Juni, Freitag, 5. Juli, und Samstag, 6. Juli.