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Martina betritt den Raum und erfüllt ihn mit unbändiger Lebensfreude. Denn sie lächelt, unentwegt. Martina macht Sport, sie arbeitet und hat einen Freund, sie führt ein ganz normales Leben. Ein fast ganz normales Leben: Sie hat das Down-Syndrom.
Martina betritt den Raum und erfüllt ihn mit unbändiger Lebensfreude. Denn sie lächelt, unentwegt. Martina macht Sport, sie arbeitet und hat einen Freund, sie führt ein ganz normales Leben. Ein fast ganz normales Leben: Sie hat das Down-Syndrom.

Trotz ihrer Behinderung lebt die 34-Jährige alleine. Vor einem Jahr ist sie zu Hause ausgezogen. Sie lebt jetzt in der Wohngemeinschaft in den Stegwiesen, in einem Wohnhaus für Menschen mit Behinderung.

Für sechs Behinderte könnte das in sattem Dunkelorange gestrichene Haus ein Zuhause sein. Doch von den sechs Appartements sind nur zwei belegt. Die einzige Mitbewohnerin Martinas ist Frauke, deren Behinderung bis heute Rätsel aufgibt. Frauke ist die Tochter Hildegard Pühns, der Vorsitzenden des Vereins für therapeutisches Reiten. Pühn war es, die den Bau der Wohngemeinschaft initiierte.

Warum die Appartements nur wenig nachgefragt sind, verstehen weder Pühn noch Raisa Kanz und Wilhelmine Langenbucher, die in der Wohnanlage zur Betreuung und zur Pflege angestellt sind. Auch Martinas Mutter kann sich das geringe Interesse nicht erklären: „Es ist so toll, hier kann meine Tochter ein ganz normales Leben führen“, sagt sie. Doch aus den verschiedensten Gründen hätten viele ihr zunächst geäußertes Interesse an einem Appartement wieder zurückgezogen, sagt Pühn.

Doch war gerade auch dieses Interesse ein Grund für die Vereinsvorsitzende gewesen, den Stein für eine solche Wohnanlage überhaupt ins Rollen zu bringen. „Viele Vereinsmitglieder sagten, dass sie ihre Kinder nicht in ein gewöhnliches Heim geben wollten“, erzählt Pühn. Also machte sie sich stark. Im Jahr 2009 war Baubeginn, 2010 stand das Haus, das mehr als 600 000 Euro kostete und als dessen Eigentümer der Verein für therapeutisches Reiten fungiert. Neben privaten Spenden, Zuschüssen der Aktion Mensch und der Software AG Stiftung, stemmt der Verein die Finanzierung. Seitens des Landratsamtes werde das Konzept als einmalig im Landkreis Heidenheim bezeichnet, so Pühn.

In der Wohngemeinschaft kann jeder sein Zimmer so gestalten, wie er möchte. Jeder hat sein eigenes Bad, eine eigene Terrasse gehört auch zum Appartement. Im Haus ist es hell, das Licht dringt ungehindert durch die großen Fenster. Die Wände erstrahlen in frischen und frohen Farben. Das Haus ist liebevoll gestaltet.

Wie eine ganz normale Familien lebten sie, sagt Betreuerin Wilhelmine Langenbucher. Morgens wird gemeinsam gefrühstückt, anschließend geht Martina zur Arbeit in die Lebenshilfe, wo sie Kirschkernkissen herstellt. Abends essen alle gemeinsam. Häufig wird dann noch etwas Schönes unternommen. Frauke wird tagsüber zudem in die Hausarbeit miteinbezogen. Und auch sonst hat jeder Aufgaben, die er erledigen muss. „Wir sind hier ja nicht im Hotel“, sagt Langenbucher.

Martina zum Beispiel ist für das Gießen der Tomaten zuständig, und Frauke muss beim Tischdecken helfen. Auch sonst müssen die Frauen den Betreuerinnen immer wieder zur Hand gehen, es wird zusammen gekocht und gebacken, geputzt und Wäsche gemacht. Wer bügelt, steht fest: Bügeln ist so etwas wie Martinas Hobby.

Pühn und das Wohnhaus-Team wünschen sich, dass noch mehr Menschen in die Wohnanlage einziehen. Wer Interesse hat, kann zunächst vier Wochen zur Probe wohnen. Geht es dann konkret um den Einzug, haben alle, die im Wohnhaus leben, Mitspracherecht, erläutert Pühn. „So ist es auch beim Betreuungspersonal“, fügt sie hinzu. Der Grund: Es sei wichtig, dass es zwischen den Bewohnern passe. Damit das Konzept funktioniere, müssten sich die Bewohner unbedingt verstehen, so Pühn.

Es gebe zwar Anfragen, zum Teil handle es sich aber um extrem behinderte Menschen. Diese könnten nicht in die Wohnanlage aufgenommen werden, erläutert Pühn. Denn eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung könnten sie nicht leisten, die Bewohner seien ständig gefordert, sich einzubringen.

Zärtlich streichelt Martina Frauke über den Arm. Zwischen den beiden ist eine echte Freundschaft entstanden. Sie fühlen sich wohl in ihrem neuen Zuhause. Auch Martinas Eltern geht es gut damit, dass ihre Tochter nun ausgezogen ist. Martinas Vater sei es anfangs zwar schwer gefallen, „aber wir wissen ja, dass sie sich hier wohl fühlt“, sagt ihre Mutter.

Martina hatte es schon einmal in der Lebenshilfe versucht. Doch dort möchte sie nicht leben. Die Anfälle der Mitbewohner haben ihr Angst gemacht. Aus ihrem kleinen Reich in der Bolheimer Wohngemeinschaft aber will sie gar nicht mehr weg: „Hier ist immer Action“, sagt sie und lächelt. Zu Hause sei es manchmal doch ein wenig langweilig.

Für Frauke und Martina ist die Wohnanlage mehr als nur ein Zuhause: Es ist die Chance auf ein selbstbestimmtes, auf ein normaleres Leben. Auch dank ihrer Eltern blieb den beiden diese Chance nicht verwehrt. Annika Sinnl

Info Interessenten können sich bei der Wohngemeinschaft unter Tel. 07324.9833430 melden.